Donnerstag, 25. Oktober 2007

Ole ole ole ole ole ole BESIKTAS!!!




Fußball in der Türkei ist bekannt für seine Extreme, oder? Jedenfalls behaupten alle Türken, dass man in keinem anderen Land Fußballspiele so krass zelebriere wie in der Türkei. Ich kann nur sagen: Im Vergleich zu Deutschland stimmt das!
Gestern abend waren wir - Niamh, meine Mitbewohnerin Silke, Can aus dem Mountaineering Club und ein Haufen Bogazici-Studenten - beim Champions-League-Spiel:
BESIKTAS gegen LIVERPOOL.



Starten sollte das Ganze um 21.45 Uhr türkischer Zeit, damit die armen Zuschauer am anderen Ende von Europa pünktlich zu Bett gehen können - Zeitverschiebung sei Dank. Gegen acht waren wir in Besiktas, und damit waren wir spät. Dort war die Hölle los: Geschrei, Menschen, die auf dem Weg zum Stadion eine zweispurige Straße blockieren, fliegende Händler mit Schachbrettmuster-Mützen, die das Geschäft ihres Lebens zu machen scheinen. In Köln kenne ich solche Bilder von den Stunden NACH dem Spiel, aber auch nur, wenn die Mannschaft gewonnen hat. Hier macht man die Party auch schon vorher. Und sogar relativ unbetrunken, weil es einfach viel zu wenig Kioske gibt, die Bier verkaufen. Wir haben jedenfalls keinen gefunden und mussten deshalb nüchtern zum Spiel.

Im Stadion war ich im Endeffekt froh, dass ich kein Bier getrunken habe. Die Geschichten von dem Versuch, auf Toilette zu gehen, erspare ich Euch. Aber sowas Ekeliges habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Und bisher habe ich auch nicht erlebt, dass ein Typ vom Frauenklo kommt - naja, es gehen eben nicht so viele Türkinnen ins Stadion. Ich würde sagen, über den Abend verteilt habe ich ungefähr zehn gesehen...

Hinein kommt man relativ einfach, ich hatte ein größeres Chaos am Eingang erwartet, stattdessen gab es Scanner, die die Echtheit der Tickets überprüft haben und tatsächlich sogar weibliche Polizistinnen, die einen abtasten. NICHT hineinbringen in ein Stadion darf man übrigens Flaschen, Dosen, Messer, bengalisches Feuer, das übliche halt. Außerdem NICHT ins Stadion bringen darf man Münzen, Feuerzeuge und Labellos. Man könnte die ja auf andere Menschen werfen? Hineinbringen darf man übrigens Regenschirme und Stifte...

Naja, ihr kennt ja die Antwort auf alle Fragen schon...




Wir haben uns dann auf den Weg zu unserer Tribüne gemacht und uns einen Platz gesucht. Stehplätze gibt es nicht, alle haben Sitzplätze. Theoretisch sind die nummeriert, aber daran hält sich keiner. Wir haben uns also einen Weg gebahnt, durch Berge von Sonnenblumenkernhülsen und dezimentertiefe Pfützen, vorbei an Männern, die uns angeschaut haben als seien wir Aliens. Als wir schließlich Plätze gefunden hatten, und uns von den in unseren Socken hineingeschmuggelten Münzen Sonnenblumenkerne gekauft hatten (und natürlich auch für die Scheine Münzen als Wechselgeld zurückbekommen haben), begann die Musik türkische Volksweisen zu spielen und unsere Freunde ein Plakat mit der Aufschrift "Stoppt den Terror" auszubreiten. "Die ganze Welt schaut Champions-League", erklärte Can, "Wir wollen zeigen, was uns gerade bewegt." An den Tribünen waren neben Playstation und Ford-Werbung auch Plakate mit der Aufschrift "Wir alle sind Kemal Atatürk" und "Wir alle sind Brüder" - auf Englisch und auf Türkisch. Neben Besiktas Fanflaggen wehten Banner mit Atatürk-Bildern und natürlich der Nationalfarbe rot. Vor Anstoß gab es eine Schweigeminute, die einzige Minute, in der wir was von den Liverpool-Fans hörten. Aber selbst die haben irgendwann kapiert, dass sie besser die Klappe halten sollten. Niamh nutzte die Gelegenheit, mir im Flüsterton zu erzählen, dass vor ein paar Jahren mal zwei Engländer zu Tode geprügelt worden seien, als sie nach einem Fußballspiel die türkische Flagge angezündet hatten. Beeindruckt zog ich es vor zu schweigen und mir meine Gedanken über den türkischen Nationalstolz zu machen.

Das Spiel war spannend, auch wenn Niamh es sehr passend als "Lottery" bezeichnete. Die Besiktaser haben sich so durch die Gegend gestolpert und als dabei ein Tor für sie fiel, sind die Istanbuler um uns explodiert. Junge, ich hatte Angst von der Tribüne zu fallen, als der sonst so ruhige Can neben mir plötzlich Arme und Beine von sich schmiss. Und natürlich gingen überall die bengalischen Feuer an:



Die Fans von Besiktas haben ein unglaubliches Reportoire an langen und komplizierten Liedern. Über zehn Minuten haben wir nur damit verbracht, der gegenüberliegenden Tribüne der Hardcore-Fans Sätze zuzurufen, die sie wiederum beantworteten. Dann sangen wir ein Lied, das keinen wirklichen Text außer "Ole" und "Besiktas" hatte, dafür wurde jede Strophe mit anderen Gesten begleitet: Klatschen, Winken, Gebetsähnliches Verbeugen, Hüpfen, alles dabei. Wir hatten unseren Spaß!!!





Warum wir alle so komische Grimassen machen und unsere Finger verkrampfen? Das Wappentier von Besiktas ist ein Adler. Die Handhaltung soll wohl an Krallen erinnern. Ich musste mich hauptsächlich dabei kaputtlachen. Das sieht dann so aus:




Ursprünglich war ich ja - dank eines im Unwissen gekauften gelb-rot-gestreiften T-shirts - Galatasaray-Fan (Habe ich das erwähnt? Ich sehe gerade: JA! Am 13. September. Da könnt Ihr auch ein Bild davon bewundern). Das ist einer der anderen zwei großen Fußball-Vereine in Istanbul. Der dritte ist Fenerbahce, dessen Fans blau und gelb als Vereinsfarben tragen. Galatasaray entstand aus der Fußball-Mannschaft des Galatasaray-Lisesis, eines französischen Gymnasiums auf der Istiklal, an dessen golden verziertem Tor ich ungefähr zwei Mal am Tag vorbeikomme. Räumliche Nähe wäre also bei diesem Verein gegeben. Der Stadtteil Fenerbahce liegt auf der asiatischen Seite. Fans dieser Mannschaft habe ich bisher noch nicht kennengelernt, deshalb schied die Mannschaft direkt aus. Besiktas ist ebenfalls ein Stadtteil, durch den ich jeden Tag auf meinem Weg zur Uni fahre. Das Stadium liegt direkt am Bosporus, die Tribüne auf der gegenüberliegenden Seite ist etwas höher, damit die Fans nicht nur das Spiel, sondern auch das Wasser sehen können, das war mir schon sympathisch, als ich das erste Mal an dem Stadion vorbeikam und keine Ahnung hatte, dass Besiktas eine bekannte Fußball-Mannschaft sein könnte.

Entschieden habe ich mich letztendlich wegen der Fans. Vor drei Wochen hatte ich mit Angelo, Daniel und Sabine einmal zum Fußball-gucken verabredet, da spielte Galatasaray gegen Besiktas. Besiktas verlor. Ich mag ja Verlierer-Mannschaften, daran habe ich mich in Köln einfach gewöhnt. In der Kneipe saßen auch zwei türkische Freunde von Daniel. Der eine war Galatasaray-, der andere Besiktas-Fan. Der Besiktas-Fan hat den beißenden Spott seines Kumpels hingenommen und war dabei überhaupt nicht pampig. Ich mag gute Verlierer. Can hat mir dann erklärt, Besiktas-Fans würden es lieben zu verlieren ("we love to lose"), Hauptsache, man könne schreien und Party machen. Das mag ich auch. An der Uni habe ich dann nur Besiktas-Fans kennengelernt. Seitdem Ayse, meine Lieblingstürkin, erklärt hat, dass sie auch zum Spiel geht, war meine Entscheidung gefallen.



Unser kleiner Fan-Club von links nach rechts: Ayse, Niamh, Silke, Can und sein "Bruder" Ali


Achso: Das Spiel ist übrigens 2:1 für Besiktas ausgegangen. Can hat mich zum neuen Glücksbringer erklärt. Ab sofort muss ich bei jedem Spiel dabei sein - sagt er. Mal gucken... Gestern haben wir deshalb bis drei Uhr auf der Istiklal gefeiert. Heute morgen hatte ich um neun Uni. Aber das war es wert!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Käthe, deine Geschichten sind echt der Hammer!! Freu mich immer, wenn ich was lese und mich dabei auch noch kaputtlachen kann! Die Besiktas-Story ist super ;))
LG

Anonym hat gesagt…

Also Kaethe, ich freue mich dass du dich so gut integrierst! (:
Und zu verstehn was andere ueber dich sagen ist das Schwierigste einer Sprache, da immer schnell und undeutlich geredet wird...
Argentiner behaupten ueberigens auch dass nirgendwo so Fussball zelebriert wird wie hier...
LG