Montag, 26. November 2007

DAS WAR EIN TOLLES WOCHENENDE!!!


Auf die Gefahr hin, dass ich Euch mit meinen Schwärmereien auf den Keks gehe, berichte ich an dieser Stelle von meinem wahrscheinlich bisher türkischsten Wochenende. Wenn Ihr gerade schlechte Laune habt, blättert lieber nach unten zu den Undercover-Tscherkessen.



Freitag war Jack Straw in unserer Uni – der ehemalige britische Außenminister, der unter anderem an dem Einzug in dem Irak beteiligt war und später ein paar krasse Einschränkungen der Privatsphäre der Briten zu verantworten hat. Dementsprechend ungern hatten ihn die Bogazici-Studenten. Es gab Protestmärsche auf dem Campus:



und Poster:




Nach ein wenig Schleimerei im Public Relations Büro haben Niamh und ich Karten für die Rede bekommen. Allerdings war es weniger aufregend, als gedacht. Hauptsächlich hat er davon geredet, wie toll er die Türkei findet, welche netter Mensch doch „my friend Gül“ sei und dass die Europäer von den Türken lernen könnten. Was genau blieb allerdings unklar. Den anschließenden kritischen Fragen ist er in Riesenbögen ausgewichen.

Nach diesem Erlebnis habe ich mich erst einmal mit einem Ami, drei Türken und zwei Deutschen in ein Wasserpfeifen Café gesetzt und über die momentane politische Weltlage diskutiert – und über Integrationsunterschiede in den USA und Deutschland. Dafür ist man Erasmus-Student, oder?

Fasil


Den Abend habe ich dann - statt wie geplant in einer türkischen Oper - auf einer „Fasil“ verbracht. Das allein ist schon ein Blogeintrag wert:

Man nehme ein tolerantes Restaurant, etwa 60 sehr ordentlich gekleidete (Hemden und Blusen) türkische Studenten, einen Klarinettenspieler, einen Mann, der die „saz“, die türkische Gitarre, beherrscht, ein leckeres zwei Gänge Menü und gebe einen ordentlichen Schuss Raki hinzu. Heraus kommt ein Abend, an dem Menschen auf den Tischen tanzen, lauthals türkische Volkslieder singen und dazu diese Schellentrommeln schwingen, die man noch aus dem Musikunterricht kennt. Ich war ja glücklich, dass ich Ayse und Annegret hatte – sonst wäre ich vermutlich vor Kulturschock in Ohnmacht gefallen. Stattdessen habe ich mich selbst irgendwann auf einem dieser Tische wieder gefunden, wo mir Ela beigebracht hat, die Hüften zu schwingen. Sie hat es zumindest versucht.

Der Abend wurde lang, erstreckte sich über meherere Bars, die aber entweder zu klein, zu voll oder zu leer waren und endete wie so viele im Araf. Dort hat Kinay (zu dem später mehr) darauf bestanden, meine Salsa-Kenntnisse zu prüfen. Ich bin nach Hause geflohen – da war es vier.

Mairéad

Samstag war mal wieder ein Gammeltag. Eigentlich wollte ich den Proben einer türkischen Rockband lauschen, aber ich war zu spät und habe stattdessen Niamh im Superdorm-Gefängnis besucht. Sie hat zur Zeit Besuch von ihrer Schwester Mairéad, die eine Schote nach der anderen reißt, so dass man immer viel zu lachen hat, vor allem über Mairéads Versuche, sich ohne Türkisch-Kenntnisse durch Istanbul zu schlagen. Mein momentaner Favorit: Mairéad geht in eine Apotheke, greift sich an den Hals, hustet, verdreht die Augen, fälscht einen Nießer, röchelt – um etwas gegen Erkältung zu bekommen. Die Apothekerin schaut sich das in aller Ruhe an und meint dann mit feinstem britischen Akzent (sagt Mairéad): „So, you have got a cold?“

Samstag abend wollte ich ruhig angehen, schließlich stand für den nächsten Tag ein Paragliding Trip an. Wir sind dann nur in drei Bars gewesen und haben uns nur bis zwei zum Affen gemacht. Mit Ayse, ihrem Bruder, den die Militär-Akademie mal für ein Wochenende in die Freiheit entlassen hat, zwei Militär-Akademie-Freunden, Carlotta, der besten Tänzerin unter den deutschen Erasmuslern und Umut, dem deutsch-türkischen Teppichhändler. Wer auf die Idee gekommen ist zu moshen weiß ich nicht mehr. Aber jeder Muskel in meinem Hals schmerzt von diesem Abend. Es war – ich kann’s nicht anders ausdrücken – saugeil.

Die erste Bar und Afisye, Ayses Freundin. Man beachte: Atatürk ist überall



Eigentlich wollte ich gar kein Bier trinken :)



(Fast) die ganze Truppe





Paragliding Sonntag

Ich bin geflogen!!!

Zwar nur einmal und auch nicht lang, aber jetzt weiß ich, dass ich es kann!
Diesen Tag erzähle ich am besten in Bildern:

Hoch zum Hügel




Diskussionen über den zu starken Wind





Umfunkionieren der Fallschirme




Zeltatmosphäre: Was macht man da am besten? Spiele spielen. Unsers hieß „Kac kabak olmus?“ und ist mehr oder weniger ein türkisches Zungenbrecher-Spiel. Ich bin als zweites rausgeflogen. Kinay war noch dümmer.




Erste Flugversuche der besseren Piloten






Wind messen


So eine Jacke habe ich auch bald!



Fertig machen




Und an dieser Stelle eine Kleinigkeit zu Kinay: Er ist einer von diesen türkischen Jungs, die einem immer beweisen müssen, wie höflich und zuvorkommend sie sind. Mit anderen Worten: Er gräbt jede an. Alle heißen „Canim“ (Schatz). Es ist wirklich witzig, mit ihm herumzuhängen, wenn er nicht gerade versucht zu erklären, warum er Hitlers Führungsqualitäten bewundert (und damit ist er widerlicherweise nicht allein in diesem Land). Er wird Chemie-Lehrer. Warum auch immer. Und er wollte Fotos von meinem Flug machen, leider war die Speicherkarte schon voll, weil er mich vor dem Abflug aus jedem Winkel fotografiert hat. So kann ich Euch keine Beweisbilder schicken. Aber angeblich existiert ein Video auf Ayses Handy. Jetzt muss ich ihr das nur noch klauen.

Ayses Flug




Und dann gings heim. Hach, nächste Woche will ich wieder fliegen. Vielleicht kann ich dann auch etwas das Gefühl genießen. Denn bei diesem ersten Mal habe ich mich vollkommen auf meine Beine und Arme konzentriert: „Immer weiter laufen, nicht zu früh in den Sitz setzen, Arme auf Schulterhöhe, nicht zu heftig an den Bremsen ziehen, Arme auf Schulterhöhe, Arme auf Schulterhöhe, oh Gott, da kommt ja schon der Boden!“

Tscherkessen

Diese Geschichte handelt davon, wie ich zu einer stolzen tscherkessischen Folklore Tänzerin wurde – zumindest für einen Samstag. Sie ist etwas lang, also nehmt Euch Zeit und einen Atlas, denn Tscherkessien ist groß und weit weg.

In meiner ersten Woche in Istanbul hatte ich mich überfordert. Jeden Tag neue Sehenswürdigkeiten, weite Wege auf kaputten Füßen und natürlich ständig neue Gesichter hatten mich völlig „geflasht“. Ich fand mich wieder in einer Bar namens Araf (Istanbuler werden lachen – da hängen die Erasmus-Leute in Scharen herum). Etwa zehn Bekannte tanzten und sprangen dort zu türkischer, spanischer und französischer Gipsy-Musik herum und irgendwann musste ich mich einfach einmal ausruhen. Das kann man im Araf nicht, aber man kann es versuchen, an einem der Fenster mit Blick über wuselige Straßen.

Ich saß also da und versuchte, für fünf Minuten „herunter zu kommen“, als mich Senem ansprach – nach etwa drei Minuten „Ruhe“. Ob es mir gut ginge, ob sie mir helfen könne. Ob ich allein da sei, ob ich mich zu ihr und ihren Freunden setzen wolle. Dass ich traurig aussehe und einsam. „Alles, was ich will, ist meine Ruhe“, dachte ich, aber sie war so nett, und ich wollte nicht unhöflich sein, also habe ich mich ein bisschen mit ihr unterhalten. Sie sei gerade mit ihren Freunden unterwegs. Sie alle seien Tscherkessen und der Typ neben ihr – ein stetig grinsender Schnauzbart – sei ihr Tanzlehrer. Ich weiß nicht mehr so ganz genau, warum, aber irgendwann habe ich dann versprochen, mir das mal anzuschauen.

Und der Schnauzbart versprach, mir Tanzen beizubringen. Erwartet hatte ich es nicht, aber schon am nächsten Tag hatte Senem mir eine E-mail geschrieben und mir einen Link zu einem Video bei Youtube geschickt (http://www.youtube.com/watch?v=SXN_8ojIc14) mit einem ihrer Auftritte. Offen gesagt: Ich habe mich scheckig gelacht über den Tanz. Aber interessant ist er alle mal.


Der letzte Osmane


Die Tanzstunden begannen erst im Oktober, davor haben wir uns einen Abend getroffen, um einen Film namens „Der letzte Osmane“ zu schauen. Ich habe Euch davon berichtet (30. September).

Ende Oktober bekam ich dann eine SMS: Das Training habe an jenem Tag begonnen und sie entschuldige sich, dass sie sich erst so kurzfristig melde, aber ich könne mir das ja mal angucken. Ich bin also zum Maslak-Campus der Istanbul Technikal University gefahren, um mir tscherkessische Volkstänzer anzuschauen. Das war so absurd, dass ich im Bus die ganze Zeit vor mich hingrinsen musste. Maslak liegt völlig ab von allen Istanbuler Stadtteilen, die ich bis dahin besucht hatte und außer Hochhäusern und einer ausgesprochen hässlichen ITÜ kann man dort auch nicht viel sehen.

Leider hatte die Gruppe an dem Tag früher aufgehört und ich war etwas spät dran, so dass ich nur noch mit ihnen essen gehen konnte. Danach sind wir zurück zum Kneipenviertel Taksim gefahren und haben in einer Bar ein Bier getrunken. Dort habe ich dann meinen ersten Privatunterricht in tscherkessischer Kulturkunde bekommen – von einer 30 köpfigen Gruppe tscherkessischer Volkstänzer, die völlig fasziniert davon waren, dass ich mich wirklich für ihre Traditionen interessiert habe. „Selbst die Türken schütteln irgendwann den Kopf und sagen, dass wir spinnen!“

Tscherkessische Geschichtsschreibung


Eine kurze Zusammenfassung: Tscherkessen kommen ursprünglich aus der Gegend nördlich des schwarzen Meeres. Nach dem russisch-kaukasischen Krieg Mitte des 19. Jahrhunderts sind sie ins Osmanische Reich umgesiedelt worden, wobei die meisten gestorben sind. Dieser Völkermord (wie sie ihn nennen, Geschichtsschreibung ist in diesem Land allerdings ziemlich kreativ) ist ziemlich wichtig, vor allem weil die Tscherkessen ziemliche Angst davor zu haben scheinen, ihre Kultur zu verlieren.
Ein Link, um mehr davon zu lesen: http://www.tscherkessen-koeln.de/mai.htm

Anders als andere Volksgruppen haben sich die Tscherkessen sehr gut in den Staat integriert, haben sie sich ein paar Traditionen erhalten. Senem liebt es vor allem von typisch tscherkessischen Hochzeiten zu erzählen. Die dauern drei Tage und der Bräutigam sieht seine Frau während der Zeit nicht. Beide heiraten unabhängig voneinander – jedenfalls ist es das, was Senem erklärt hat. Die Braut feiert mit der Familie und Freunden während der Mann irgendwo anders herumläuft. Auf diesen Feiern tanzt man natürlich tscherkessisch. Die Frauen stehen auf der einen Seite, die Männer auf der anderen. „Und dann, dann macht man Allof!“ Senem lacht, während ihr Freund die Augen rollt und leise stöhnt. „Nee, Senem, das willst Du doch jetzt nicht wirklich versuchen, zu erklären!“ ruft einer der Volkstänzer. „Das versteht man einfach nicht, wenn man kein Tscherkesse ist.“

Allof


Allof heißt so viel wie Komplimente machen – so habe ich das jedenfalls verstanden. Wenn ein Tscherkesse eine Frau kennen lernt MUSS er ihr Komplimente machen, egal wie sie aussieht, alles andere wäre unhöflich. Auf diesen Hochzeiten wird das perfektioniert. Gefällt eine Frau einem Mann, dann sagt er den anderen Männern, dass sie aufhören sollen, ihr Komplimente zu machen. Dann gibt er einem Freund ein Geschenk und/oder einen Brief, den dieser dann an eine Freundin dieser Frau weitergibt, mit der Bitte um ein Treffen. Dann muss die Frau antworten – und die erste Antwort lautet immer „nein“. Senem gab ein Beispiel: „Wenn der Mann zum Beispiel schreibt, dass die Frau so schön lacht wie die Sonne, dann antwortet sie ‚WAS? Nur wie die Sonne?!’“

Einige Männer können diese Briefe natürlich besser schreiben als andere. Senems Freund Ertem erzählte lachend von einem Kumpel, für den er schon öfter solche vor lächerlich übertriebenen Komplimenten überquellenden Briefe geschrieben hätte. Wenn dieser sich dann mit Frauen getroffen hätten, seien die immer total verwirrt, warum er so ganz anders spreche als schreibe. Der Kumpel, um den es ging, saß übrigens neben Ertem und wurde knallrot.

Irgendwann sagt die Frau vielleicht „ja“ und die beiden gehen zum Beispiel zusammen spazieren. Dann weiß man aber noch immer nicht, dass der andere einen wirklich mag, denn dieses Allof austauschen ist mehr ein Spiel. Manchmal sei das nur für diesen einen Hochzeits-Abend, und nur selten sei das wirklich ernst gemeint. „Und wie weiß man dann, ob der Mann einen wirklich mag, oder ob er nur höflich ist?“ – „Ach, das merkt man irgendwann.“

Entführungen


Ein anderer Brauch ist es, die Braut zu entführen. Tscherkessen fragen ihre Eltern, bevor sie heiraten. Sind die Eltern der Braut mit dem Mann nicht einverstanden, dann können die beiden eigentlich nicht heiraten. Es sei denn, die Braut und der Bräutigam verständigen sich auf eine Entführung. Dann holen Freunde von beiden die Braut nachts aus dem Haus der Eltern und bringen sie irgendwohin, wo sie „sicher“ ist. Dann sagen sie den Eltern „Eure Tochter ist bei uns, sie ist sicher und sie gehört jetzt zu dieser und jener Familie“. Dann haben die Eltern Pech gehabt und die neue Familie ist verantwortlich für die Frau. Dann kann sie heiraten. Normalerweise geht das Ehepaar dann nach der Hochzeit zu den Eltern und entschuldigt sich und alles ist wieder gut. Während der Entführungszeit sieht der Bräutigam seine Zukünftige übrigens nicht, sie bleibt bei Freunden. „Meine Eltern haben übrigens auch so geheiratet“, sagt Senem. „Ertems auch.“

Ich hätte diesen Erzählungen vielleicht nicht so viel Glauben geschenkt, hätte ich nicht erlebt, wie sehr solche Traditionen in dieser Gruppe von Studenten eingehalten werden. Zum Beispiel ist es nicht erlaubt, in Gegenwart von Respektspersonen zu rauchen und zu trinken, es sei denn diese gibt ihr Einverständnis. Irgendwann kam ein Mann herein, der vielleicht 25, 30 Jahre alt war und wie auf Kommando versteckten alle Jungs am Tisch plötzlich ihre Zigaretten. Innerhalb der nächsten Stunde – so lange blieb dieser Spielverderber – hat niemand mehr ein Bier nachbestellt. Er war der Akkordeon-Lehrer der Musiker in der Gruppe. Eine andere, recht anstrengende Tradition: Wenn jemand Bekanntes den Raum betritt oder verlässt, steht man auf und begrüßt oder verabschiedet ihn persönlich. Während des Abends kamen in Abständen etwa fünf Menschen nach, fünf weitere gingen vorzeitig. Jedes einzelne Mal sind alle aufgestanden und haben mit Handschlag „hallo“ oder „tschüß“ gesagt.

Später am Abend konnte ich dann am eigenen Leib erfahren, was es heißt, „Allof“ zu bekommen. Ömer, einer der Freunde von Senems Bruder, hatte mitbekommen, dass Senem mir alles erklärt hatte. Er ließ mir durch sie einen Keks überreichen. Ömer spricht nur Türkisch, also hat Senem versucht, die „leidenschaftliche“ Sprache der Tscherkessen ins Englische zu übertragen. „Ja, also er meint, hmmm, dieser Keks ist süßer, aber du bist süßer – nein! Dieser Keks, wenn Du ihn isst, wird süß schmecken, aber du würdest süßer schmecken. Oder so.“ – Antwort: „Ich bin also süßer als ein Keks? Na danke!“ Zehn tscherkessische Lacher hatte ich auf meiner Seite, Ömer hat es dann nicht weiter versucht. „Du hast Talent!“ meinte Senem.

Wie lange ich eigentlich in der Türkei bliebe, war dann die nächste Frage, vielleicht ergebe sich ja noch eine Hochzeit. Als ich zugab, dass ich nur noch drei Monate bleibe, war sie entsetzt. „Wenn Du sie entführen willst, ich gebe mein Einverständnis“, meinte Ertem, Senems Freund. „Ich ziehe mich dann zurück.“ Die nächsten zehn Minuten drehte sich die Diskussion dann um die Umstände meiner möglichen Entführung. Senem fiel als Bräutigam allerdings aus, sie wollte doch bei Ertem bleiben.

Der Abend war nicht nur wegen dieses Tscherkessisch-Crash-Kurses ein sehr spannender, deshalb bin ich zwei Wochen später noch einmal nach Maslak gefahren.

Tscherkessisch zu tanzen bedeutet erst einmal, nur die Fußballen zu benutzen. Die Haken hängen fast immer in der Luft. Trotz verschiedener Fortbewegungsarten, inklusive Sprüngen, darf sich der Kopf nicht bewegen, die Körpergröße bleibt im Idealfall konstant auf einer Höhe. Außerdem steht und geht man sehr gerade. Ihr könnt das ausprobieren, wenn ihr Euch mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor den Spiegel stellt. So geht eine stolze Tscherkessin. Unsere Lehrerinnen bewegten sich, als würden sie über den Boden schweben. Um das zu lernen, bin ich definitiv zu alt und nicht grazil genug. Aber ich glaube, ich habe mich recht gut geschlagen. Meine Wadenmuskeln jedenfalls haben sich am nächsten Tag bedankt. Ein paar Grundschritte und Hüpfer konnte ich lernen, dazu eine bestimmt Art, sich auf einem Punkt zu drehen. Was mir aber nach den fünf Stunden Training wirklich ins Blut übergegangen ist, ist die Art zu stehen. „Es ist nicht so schlimm, wenn Du bei den Schritten häufiger Fehler machst“, erklärte Senem und den Mädels um mir herum. „Hauptsache ist, Du stehst aufrecht gerade und bist stolz, eine Tscherkessin zu sein.“ Sie selbst hat mit einer Freundin zusammen den fortgeschritteneren Tanz geübt: Auf den Zehen, anstatt auf den Fußballen. Ja, genau, auf den Zehen! Die werden dabei eingeknickt. Die beiden trugen dabei keine Ballettschuhe. Ja, man kann dabei seine Zehennägel verlieren. „Wenn man es falsch macht“, wie Senem anmerkte. (Senem und Hilal beim Proben) Auch an diesem Samstag sind wir wieder nach Taksim gefahren. Dieses Mal mit einer Gruppe von vielleicht zehn Leuten. Es war wieder richtig nett – unter anderem weil ich deutschen Schnaps mitgebracht hatte, 15 verschiedene Berentzen Fläschchen, die mir meine Eltern für Senem mitgebracht hatten. Sie hat gequietscht vor Freude, als sie sie gesehen hat, sie liebt Kurze in allen Variationen, besonders aber Tequila. Alle Sorten von Rharbarber bis HKT wurden einmal durchgerochen und an einigen genippt. Anschließend haben Senem und ihre Freunde an ihren Plänen gefeilt, wie sie mich entführen könnten. Einen Bräutigam habe ich leider immer noch nicht.


(Undercover Tscherkessin: Senem)

(und zwei ihrer Freunde)

Mittwoch, 21. November 2007

Tavla

Unser liebster (leider selten praktizierter) Freizeitsport heißt „Tavla“. Das ist dieses Brettspiel, was in der Türkei zum Zeittotschlagen benutzt wird, hauptsächlich von älteren Männern mit Bärten. In Deutschland nennt man es „Backgammon“, aber Tavla klingt nicht nur besser, die Spielbretter sehen auch besser aus.

Die Regeln sind einfach: Die schwarzen Figuren müssen im Uhrzeigersinn in die eine Richtung laufen, die weißen in die Gegenrichtung auf die andere Hälfte des Brettes gelangen. Haben alle Figuren das 4. Viertel erreicht, beginnt man darum zu würfeln, sie aus dem Spielfeld heraussetzen zu dürfen.

Unser Problem war immer der Anfang, denn es gibt eine bestimmte Aufstellung der schwarzen und weißen Figuren, die eingehalten werden muss. Niamh und ich haben uns schon mehrmals blamiert, indem wir die Kellner fragten, wie die Anordnung noch einmal sei und zwei Mal habe ich mir nun schon eine Skizze gemacht, um sie nicht zu vergessen. Das hilft leider nur, wenn man die Skizze nicht zu Hause vergisst.







Das letzte Mal musste Batuhan, ein Bekannter von uns aus dem Paragliding-Club, dran glauben. „Männer- oder Frauentavla?“ war seine Frage. Von diesem Unterschied hatten Niamh und ich noch nichts gehört. Batuhan grinst: „Frauentavla ist ein bisschen einfacher.“ Dabei legt man die Steine in sechs Haufen auf das Brett und würfelt. Jedes Mal, wenn eine Zahl fällt, kann man einen Stein vom Haufen herunterlegen, wenn alle Haufen abgebaut sind, darf man herauswürfeln.

Ein schönes kleines Indiz für die Ideen der türkischen Männer über die Intelligenz der Frauen!




P.S.: Es gibt eine weitere Variante: Soldaten-Tavla. Dort werden die Steine auf die beiden Kästen eines Tavla-Spielbrettes verteilt und jeder versucht, mit einem Finger seine Steine auf die des Gegners zu schnipsen. Liegt ein Stein auf einem Stein der anderen Farbe, ist der untere tot.

Sonntag, 18. November 2007

Paragliding

Vor unendlich langer Zeit hatte ich Euch mal versprochen, vom Paragliding-Club zu erzählen. Das will ich nun endlich einlösen:

Die Bogazici ist nicht nur eine alte, sondern auch eine sehr amerikanische Universität. Zu dieser Tradition gehören die vielen Clubs, die an der Uni um Mitglieder werben. Vom Trekking-Club habe ich bereits erzählt, vom Caving Club glaube ich auch. Snowboarder, Fotografen, Musiker, Tüftler, Physiker und Schachspieler haben ihren eigenen Club, viele andere Namen oder Intentionen haben sich mir nicht erschlossen. Zum Beispiel scheint ein Club sich ausschließlich mit feministischen Fragen zu kümmern, während ein anderer Projekte in Afrika organisiert.

An meinem ersten Uni-Tag hatte ich das Glück, aus Versehen in die Präsentationszelte zu geraten. Besonders interessiert hat mich dort natürlich der Paragliding Club. Wo sonst kann man an einer Uni fliegen lernen? Ich wollte mich also dort in eine Liste eintragen, aber mir wurde der Zugang verwehrt: „Ausländer können hier nicht mitmachen.“ Sinnvoll, schließlich ist es ziemlich wichtig, dass man die Kommentare seiner Lehrer versteht, insbesondere wenn man gerade 40 Meter über dem Boden schwebt.

Ich hatte mich also schon mit meinem Schicksal abgefunden, als ich Ayse kennen lernte. Sie hat sich so dafür begeistert, dass Niamh und ich mitmachen wollten, dass sie einen Instructor aufgetan hat, der gerade seinen Master in Englisch macht. „You can join!“ schrieb sie mir auf meine Facebook-Wand und noch ein bisschen mehr dazu. Seitdem bin ich offizielles Mitglied und hatte sogar schon meine erste Theorie Stunde.

Am Wochenende vor zwei Wochen sind wir dann nach Catalca gefahren, wo man von einem Probehügel springen kann. Zuvor muss man allerdings seinem Intructor beweisen, dass man den Fallschirm auch auf einem freien Feld koordinieren kann. Ich hatte mir das schwerer vorgestellt: Der Schirm wird wie ein Halbmond ausgebreitet, alle Leinen überprüft und an einem Rucksack eingehakt, der wiederum wie ein Anschnallgurtsystem um den Flieger gewickelt ist. Man läuft dann in die Richtung, aus der der Wind kommt und hebt den vorderen Teil des Fallschirms an. Das funktioniert fast von allein, weil die Leinen unterschiedlich lang sind. Dann verfängt sich der Wind in den Öffnungen auf der Vorderseite des Schirms und wird in die Gänge innerhalb des Stoffes geleitet. So lange man läuft und im richtigen Moment die Arme anwinkelt, so dass die Hände auf Schulterhöhe die Bremsen halten macht man nichts verkehrt. Und dann heben auf einmal die Füße ab…




(das bin ich!)


Bei mir hat das ganze ziemlich gut funktioniert, was wahrscheinlich zu 90 Prozent am Wind lag. Der nämlich hat sich später einen Spaß daraus gemacht, ab und zu mal aus einer anderen Richtung zu blasen. Sieben oder acht Mal bin ich über das Feld gehüpft, dann meinte Tamer, Niamhs und mein Instructor, dass wir nun bereit seien, vom Hügel zu springen. Leider war es dem Tag zu spät, aber beim nächsten Ausflug werden wir richtig fliegen!




(das ist Niamh, nachdem sie sich hingepackt hat)




(so sieht das aus, wenn man das kann)

huhu!

Da bin ich wieder, mit guten und schlechten Neuigkeiten. Fangen wir mit den schlechten an? Ist ja im Allgemeinen der Brauch.

Ich muss umziehen. Unser Apartment wird verkauft und der neue Besitzer wird es allem Anschein nach erst einmal renovieren lassen, was ich ihm auch empfehlen würde: unser Bad hat sich mittlerweile in eine Schimmelhölle verwandelt, seitdem das Fenster nicht mehr zu öffnen ist und die Küche bricht auch an allen Ecken und Enden auseinander…seitdem ich das Spülbecken mit Steinkleber befestigt habe, kann man aber immerhin wieder das Geschirr sauber machen.

Am 15.12. geht’s rüber nach Talabase. Dort werde ich in ein wesentlich kleineres Zimmer mit wesentlich schlechterer Akustik wohnen – aber dafür auch wesentlich weniger bezahlen und eine sehr nette neue Mitbewohnerin haben, namens Carlotta. Womit wir bei den guten Nachrichten wären. Sie studiert Psychologie, wenn sie nicht im Auslandssemester an der Bogazici rumhängt, wohnt sie in Berlin. Wir teilen uns die Wohnung mit einem türkischen Mitbewohner, der aber immer irgendwo am Schwarzen Meer herumhängt, um Filme zu drehen, denn er ist Produzent. Gut für uns.



Das ist Carlotta im Regen. Leider kann ich das Foto hier nicht drehen...

Noch eine schlechte Nachricht ist, dass es regnet, ziemlich viel sogar. Mein Silvesterbesuch kündigte an, eine Badehose einzupacken und ich kann das nur empfehlen. Die Straßen verwandeln sich ab und zu in rauschende Wasserfälle. Die Gullis laufen zwar nicht über, wie bei Gewittern in Köln, aber sie können auch kein Wasser mehr aufnehmen. In Kombination mit den Steigungen in dieser Stadt ist das manchmal fast gefährlich, man hat das Gefühl, man läuft auf einer Wasserrutsche. Man wird übrigens auch ähnlich nass.



(das ist Umut, mein Lieblingsdeutschtürkischer Teppichdealer)



(so siehts dann auf der Strasse aus)

Eine weitere nicht zu bewertende Nachricht ist, dass ich erst ab Mitte Dezember wieder eine eigene Internetleitung haben werde. Die DSL-Firma hat unseren Anschluss komplett lahm gelegt und wir müssten alles neu beantragen, um eine neue Verbindung zu bekommen. Dazu hat natürlich niemand von uns Lust, für zwei drei Wochen in unserer Wohnung. Also werde ich noch ein wenig über unfähige Internetcafe-Besitzer und absurde Tastaturen schimpfen. Aber immerhin weiß ich sicher, dass ich bald wieder Eure Stimmen hören kann. Darauf freue ich mich schon!


P.S. İch sehe gerade, dass wir mit den Wasserfaellen sogar noch Glück gehabt zu haben scheinen: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,518072,00.html

Donnerstag, 8. November 2007

noch immer...

...plage ich mich mit Tastaturen herum, auf denen anstelle eines 'i's ein 'ı' erscheint, die Punkt-Taste mit einem 'ç' belegt und die Komma-Taste mit dem Punkt ist, 'y' und 'z' vertauscht sind, 'ü' das Kreuz ersetzt (ich habe mich immer gefragt, wozu das gut sein soll...) und natürlich 'ğ' und 'ş' zentrale Stellen einnehmen. Richtige Anführungszeichen habe ich immer noch nicht gefunden. Könnt İhr Euch vorstellen, wieviel Zeit mich dieser Satz gekostet hat? Und dabei dachte ich, ich haette mich langsam daran gewöhnt...
Mittlerweile habe ich mich so eingelebt, dass ich gar nicht recht weiss, was ich Euch Neues berichten soll. Heute hat nicht die rote, sondern eine schwarz-weisse Katze in 'History of Economic Thought' neben mir gesessen. İn Türkisch haben wir meine neue Lieblingsgrammatik-Konstruktion gelernt: 'yapmamamama', was übersetzt so viel heisst wie 'meinem Nicht-Gehen'. İn unserer Praesentation in 'European İntegration' haben wir ermittelt, dass der Prozentsatz solider Demokraten in unserer Klasse dem Durchschnitt von Schweden und Norwegen entspricht. Naechste Woche beginnen meine Midterm-Klausuren, wobei ich eine schon hinter mir habe - ohne es gemerkt zu haben.
İhr seht, mein Leben ist unspektakulaer. İch würde Euch deshalb empfehlen, mal bei meinen Freunden herein zu schauen: Fabian und Martin beispielsweise berichten aus China unter 'wegelagerer.blogspot.com' und 'martinaufdermauer.blogspot.com' und Hendrik schreibt über İndien auf der Seite 'charmahiineindia.blogspot.com'. Das war der Werbeblock.
İch weiss, dass ich die letzten Tage öfter mal gedacht habe 'oh, darüber würde ich gern schreiben - aber ich habe ja kein İnternet'. Das naechste Mal werde ich mir dazu Notizen machen. Versprochen...